Dienstag, 2. März 2010

Tag 7 - Von Glenfinnan nach Arisaig

15.5.
Start: 6.30 Uhr/ 8.30 Uhr
Ende: 24.00 Uhr
Wetter: Regnerisch, kalt, windig


Das Frühstück war mehr als mager: Neben Räucherlachs auf Soße gab es nur Tee, Kaffee und Saft. H. motzt, heute wie ich finde berechtigt. Die Nacht im schlosslosen Zimmer war eine Herausforderung an die Nerven. Weniger wegen möglicher Eindringlinge, sondern mehr wegen der mangelnden Kontrolle H.s. Mit etwas Zahnseide und einem Hocker konnte ich die Tür soweit sichern, dass ein Entkommen seinerseits nicht mehr möglich war. Langsam verstehe ich, wie einfache und dünne Drähte auf Weiden ganze Tierherden kontrollieren können.



Der Weg zum Bahnhof nach dem enttäuschenden Frühstück war umso mehr die Reise wert. Durch die back alleys von Glenfinnan im Mittagsgrauen zu hinken ist eine kulturelle Bereicherung. H. beschließt, auch hier Grund und Boden anzuschaffen.

Der Bahnhof präsentierte sich als ein nahezu imperialer Bau, bestehend aus Bahnsteig, Geleisen, einem Museum mit Katzenbildern und einem Wartehäuschen mit Heizstrahler. Dafür keine Menschen, was im Verlauf der bisher von viel zu vielen Menschen geprägten Reise sehr angenehm ist. Zurück zum Heizstrahler. Montiert auf gut 2,5 Metern oder 7,5 Fuß Höhe springt er nach mehrmaligem Drücken einer boost-Taste erfolgreich an und dürfte den Stromverbrauch der Stadt um den Faktor zehn vergrößert haben. Einen Aus-Knopf suchen wir vergeblich und richten uns daher geistig schon auf eine rasche Flucht aus dem Wartehäuscheninferno ein. Dankenswerterweise stellt der Strahler jedoch selbst das Strahlen wieder ein, was H. – der alte Öko-Fuchs – auf den kompletten Verbrauch fossiler Ressourcen in Glenfinnan und Umgebung zurückführt. Ich bin indes dankbar, mit dem Fahrplan etwas Zerstreuung gegenüber dem sonst allgegenwärtigen Landschaftsbild gewinnen zu können.


Der Zug hat – welch Wunder – Verspätung. Auch erinnern die Waggons an die Verbindung Krems-St. Pölten. Der Kulturaustausch zwischen Regionalbahnlinien scheint international deutlich besser organisiert zu sein als angenommen. Nach kurzer Fahrt: Arisaig, diese Hafenstadt von Rotterdammer Zuschnitt, zeigt sich in bestem Grau in Grau bei unserer Ankunft. Sie ist in etwa 50mal größer als Glenfinnan und von enormen Bergkuppen umringt, die bis zu 80 Meter in den Himmel ragen. H. ist ob dieser dramatischen Landschaft sprachlos, ich dafür wiederum dankbar.


Die Suche nach einem Quartier gestaltet sich schwierig. Die Wirtschaftskrise mit ihren Hoffnungsschimmern und Katastrophenmeldungen führt dazu, dass laufend Fenster vernagelt und sogleich wieder geöffnet werden. Nur die Brett- und Nagelindustrie floriert. Wir scheinen durch den Rost zu fallen. Opfer des Kapitalismus. Einmal mehr.

Notiz an mich selber: H.s immer stärkere Abhängigkeit von Irn Bru ist besorgniserregend. Mehrmals wollte er unterwegs einheimische Passanten anfallen und ihr Herzblut zechen, in der festen Überzeugung, dass in deren Adern das orange Teufelszeug fließen müsse. Der Elektroschocker hat zum Glück funktioniert, doch H. entwickelt zusehends eine Resistenz. Vielleicht muss ich doch früher als geplant zur 9-Volt-Batterie wechseln.

Wir finden schließlich Unterkunft bei Familie MacDonald, deren Clan vor einigen Jahrhunderten eine andere Familie ausgerottet haben soll. H.s enzyklopädisches Wissen ist manchmal mehr Fluch als Segen. Flora, der Kampfhund des Hauses, ist aber ein ganz ein Lieber.

Nach dem Bezug des herrschaftlichen Zimmers entschließen wir uns zu einer Wanderung gen Westen und dann gen Osten, im Grunde also vor und wieder retour.



Immerhin ist es kein Gehen im Kreis, doch Bier – mindestens mehrere Gläser groß – ist nach dieser fließbandartigen Fortbewegung nötig. H. stopft sich zusätzlich zu seinem Essen rubber things in den Mund und schluckt sie unzerkaut. „Geil“, presst er durch seine sabbernden Lippen hervor.

Mit seinem aktuellen Mageninhalt – eine Mischung aus Tennents, Hebriden Gold, Guiness, Hühnchen, Irn Bru und rubber things – ist er fast ein Abziehbild für eine Anti-Schengen-Kampagne zur Schließung sämtlicher Grenzen. In Israel würde er wohl augenblicklich als potentieller Sprengkörper erschossen werden. Auf seine Gebeine würde man tonnenweise Zement und Sand kippen, um postmortale Detonationen abzuschwächen und etwas mehr Spielplatz für die Kinder zu schaffen.


Gesättigt und gut gelaunt wanken wir zurück ins BB, ins Bed and Breakfast, wie der Mann von Welt sagt. Etwas klamm taste ich mich durch den Eingang und die Treppen zum Zimmer hinauf, in der Angst eine Begegnung mit Flora zu haben. H. sieht das gelassener und fixiert seinen Blick auf den Fußboden, in der Überzeugung, noch Essbares finden zu können. Die Taubheit in meinen linken Zehen hat sich gebessert, dafür spüre ich am Rest vom Körper nichts mehr. Gute Voraussetzungen für einen erholsamen Schlaf. Morgen wird alles besser.