Freitag, 25. Juni 2010

Tag 11 - Von Fort William nach Glasgow

19.5.
Start: 7 Uhr/11 Uhr
Ende: Finster war es
Wetter: bewölkt, etwas Regen

Unser geschätzter Busfahrer ist zurück und bringt uns in halsbrecherischem Tempo nach Glasgow, diese große fremde Stadt. H. zeigt sich ortskundig und führt mich in eine kleine schmucke Pension mit 13 Stockwerken und legebatterieartigen Zimmern. Endlich etwas Abwechslung. Der Fernseher ist zudem mit einem Münzschlitz versehen, was H. vor wirtschaftliche Grundsatzentscheidungen stellt: Glotze, Irn Bru oder rubber things. Die Weltwirtschaftskrise ist ein Klacks gegenüber den Einschnitten, die H. bevorstehen.

In allerlei blutigen Farben schildert H. die Gewalttätigkeit der zweitgrößten Stadt Schottlands. Er müsse mich behütetes Kind auf die Realität vorbereiten, immerhin rechne er damit, dass wir zwei- bis dreimal stündlich überfallen und beraubt würden. Ich schlage sogleich vor, einfach kein Geld mehr abzuheben und die Kreditkarten in den Clyde zu werfen – damit hätten die zweifelsfrei jugendlichen Täter keinerlei Erfolgsaussicht und wir quasi Dauerunterhaltung. H. verweist skeptisch darauf, dass auch in Glasgow der Kapitalismus herrscht und folglich Waren nur gegen Münzen oder Scheine den Besitzer wechseln. „Nur Bares ist Wahres“, sagt H. und deutet doppeldeutig auf seinen entblößten Bauch. Dreckig lachen tut er auch. Mir wird anders, nicht nur aus Systemkritik heraus.

Der Hunger treibt uns schließlich doch aus dem gut gesicherten Zimmer hinaus in die rohe Wildheit der Großstadt. Im Pizza-Hut, einem offensichtlichen schottischen Familienbetrieb, erlebe ich dann das Unvorstellbare. H. wird satt. Mehr noch, er kann die Riesenpizza mit zusätzlichem Käserand gar nicht ganz essen. „Burp“, das ist das einzige Wort, welches neben seinem Mageninhalt noch Platz im Körper findet. Dieses Datum muss ich notieren. Dass H. natürlich einen Karton verlangt hat, um seine restliche Pizza mitzunehmen versteht sich von selbst. Er baut ja zu allen seinen Speisen eine sehr persönliche Beziehung auf und gibt ihnen Namen. Meistens Franz und Kriemhild, seltener auch Antonio oder Rocky. Seine Nudelsuppe hat er neulich Sepp Pröll getauft.

Tragen will H. diesen kalorienschwangeren Karton freilich nicht, wir rennen daher – stets Deckung suchend – zurück ins Hotel. Essensreste verstauen. Ich nehme mir vor, diesen erbärmlichen Höhepunkt des Rundreiseprogramms nicht zu notieren, kann dann aber der Pflicht des Chronisten nicht widerstehen.

Ich kann H., der schon nach Münzen für den Fernseher in seinem Portemonnaie sucht, mühsam doch davon überzeugen, nochmals das Haus zu verlassen. „S’isch ja erscht halbe sechse“, so mein schlagendes Argument. H. stimmt zu und will einmal mehr seine Ortskenntnis demonstrieren: „Jetzat gemma da aussi und ummi und aui, und du wirsch sechn, do san koane Sportgschäftn nitta, gonz ondas ois in Fort William“. Nach gezählten fünf Sportfachboutiquen in ebenso vielen Minuten schmollt er. Ich heitere ihn mit Erzählungen vom Pizzarest im Hotelzimmer auf.

Um endlich eine Schmach der vergangenen Tage zu tilgen gehen wir ins Kino. Gezeigt wird Star Trek, der überallererste Teil. Sehr bunt, sehr laut, sehr zeitreiselastig, insgesamt also nichts Neues. Schottische Lichtspielhäuser sind innen ebenso wie unsere heimischen Kinos vor allem dunkel. Dafür laufen die Filme fast permanent im englischen Original, man muss also keine eigens nicht synchronisierte Vorstellung suchen. Jaja, fremde Länder, fremde…beginne ich zu denken, leider fällt mir kein passendes Wort mehr dazu ein. Also dann, live long and prosper, trotz der Pizza.

Wir trinken uns langsam aber stetig in Richtung Unterbringung retour, wobei die Angst vor Gewalttaten mit jedem Schluck schwindet. H. reckt sogar mehrmals drohend die Faust gen Himmel, als wollte er gleich die Götter herausfordern. Vielleicht juckt es ihn aber nur einmal mehr an dieser einen besonderen Stelle und er erbittet die Hand eines höheren Wesens, die ihn dort kratzen möge. Mysteriös.