Sonntag, 12. Dezember 2010

Tag 14 - Von Glasgow nach Edinburgh

22.5.
Start: 6.30 Uhr/ 9 Uhr
Ende: da wo es dann dunkel war
Wetter: Sehr hübsch

Einmal mehr heißt es Abschied nehmen, wir lassen Glasgow hinter uns und reisen zurück nach Edinburgh. Das Ende unserer Abenteuertour ist schon nahe, diese aber noch lange nicht vorbei. Denn H. hat eingedenk der Abwechslung und insbesondere in Ermangelung von Alternativen eine andere Schlafstätte gebucht, als jene in der Innenstadt. Und so bricht ein Abenteuer im Abenteuer an. Denn der hübsch bebilderte Ausdruck von der Anreise zum Hostel bringt uns leider keinen Meter näher an unser Bett. Minutenlang warten wir bei der angeblichen Abholstelle, an der ein Shuttle uns aufnehmen soll. Die Sekunden streichen vorbei, doch weit und breit nichts.

H. vertreibt sich die Zeit unterdessen damit, mit älteren Damen zu flirten. „Your English is very good“, höre ich eine der Ladies sagen. „Not only my English, harhar“, entgegnet H. wieselflink. Ich weiche in einen Eingang zurück und klammere mich an meinen Rucksack. „Es ist nirgends so schön wie zuhause, es ist nirgends so schön wie zuhause“, denke ich, doch nichts passiert. Meine Wanderschuhe sind wohl nicht rot genug. H. eilt telefonierend zu mir und meint mit einem Ausdruck des Triumphes: „Sie kemmen, sie kemmen – in dreißg Minuten.“ Ich klopfe ihm beglückwünschend auf die Schulter. Und tatsächlich, es treffen immer mehr Menschen ein, deren Rucksäcke eine ähnliche Reiseroute wie die unsere andeuten. Amerikaner, zweifelsohne. Ihre Aussprache ist derb, sie bohren mit Zahnstochern nach Öl im Asphalt und werfen kleine Atombomben auf arabisch aussehende Menschen. H. und ich halten uns neutral zurück.

Der Shuttle – ein Auto mit größerer Rückbank – trifft schließlich doch ein und bringt uns nach einigen Debatten über den Platz und die Opferung eines Fahrgastes in einer halben Stunde zur Unterkunft. Sie besteht aus einem einstöckigen Haus, welches in Mehrbettenzellen eingeteilt ist. H. und ich werden in ein Zimmer mit vier anderen Reisenden gepfercht, die Vorhänge vor der Schlafstatt sind da nur ein schwacher Trost. Wir brechen daher nach kurzer Gepäckeinlagerung umgehend wieder Richtung Innenstadt auf.

Hinter dem Haus entdecken wir wider Erwarten einen Zugang zum Meer mit herrlichem Panorama. Über einen sanften Abhang hinab kommen wir zu einer Promenade, die direkt unter der Einflugschneise des Flughafens liegt. H. muss gleich alles fotografieren. Mit geschicktem Vor-und-Zurück-Gehen locke ich ihn langsam weg von seinen selbst proklamierten Traum-Motiven und in Richtung öffentlicher Verkehr. Wir umkreisen einen Golfplatz und erreichen wenig später eine Bushaltestelle. Doch der Fahrer weigert sich, uns mitzunehmen. Was ich als grundsätzliche Ablehnung unserer Gestalten noch verstehen würde entpuppt sich als Anspruch, dass nur das genaue Fahrgeld akzeptiert werde. Scheiß Faschisten, blöde bornierte Arschlöcher, obszöne Öffi-Wixer – ich kann mich kaum beruhigen.

Schimpfend müssen wir weiter zu Fuß gehen, bis wir eine alternative Station finden. Dort gibt es dafür ein Eis, das ich mir nun auch nicht entgehen lasse. Es kühlt meinen Blutdruck, selbst wenn ich H. mit einer Hand von Übergriffen auf mich abhalten muss. Die Fahrt in die Stadt dient uns als Zeit für eine Diskussion über die Überwachung im Bus. Scheinheilige Argumente versuchen von einem Plakat herunter die gezählten fünf Kameras zu rechtfertigen. Die einzig akzeptable Aussage – „Wir wollen euch in den Ausschnitt starren, und das in Zeitlupe“ – findet sich darunter nicht. Doch auf unsere kritische Ansprache reagiert das Plakat im Bus leider nicht. Gesprächsverweigerung pur.

Nun hegen wir beide einen Groll, der sich nur mit Essen besänftigen lässt. Wir finden die Erlösung bei einem kleinen Italiener, der uns auch in Form des Kellners wieder von den guten Eigenschaften der Menschen überzeugt. Er raspelt sogar persönlich Parmesam über H.s Muscheln. Die Tränen der Rührung sind nahe. Zurückgelehnt fühlen wir uns beide erstmals seit Wochen wieder richtig entspannt. Ein kleines Stückchen Himmel mitten in der Hektik von Edinburgh.

Nach dieser Erfahrung voller Glück haben H. und ich Angst, durch sämtliche andere Aktivitäten diesen Eindruck nachhaltig zu beschädigen. Einzig die Natur der schottischen Hauptstadt hält noch eine Herausforderung für uns bereit. Wir müssen den Hügel in ihrer Mitte besteigen. Die Gene zwingen uns. Eilenden Schrittes begeben wir uns daher an den Fuß der bergigen Spitze, die doch einige Meter größer ist als wir beide zusammen, und auch als der Sprungturm im Tivoli zu Innsbruck

Der Anstieg ist zwar steil, aber gut präpariert. H. kommt ohne zu Hilfenahme der Hände weiter, ich selbst fühle mich fast wie auf einer Rolltreppe. Der Ausblick von der Spitze ist dann doch ein lohnender Abschluss unserer Wanderaktivitäten. In Ermangelung anderer Erhebungen breitet sich rundum das schottische Land vor uns aus. Erhaben, das ist das stärkste Gefühl, das man hier empfindet. H. hat allerdings keine Zeit dafür, muss er doch eine Dame mustern, die eine vermeintlich bessere Kamera als er selbst auf den Hügel geschleppt hat. Größer ist sie in jedem Fall, wie mein fachmännischer Blick gleich erfasst. Ich verhalte mir aber eine entsprechende Bemerkung und genieße den Ausblick.


Der Weg hinunter ist einmal mehr in etwa gleich lang wie der Weg hinauf. Wir brauchen etwas länger, da H. – ganz der Naturmensch – an den Blumen schnuppern möchte. Doch wenig später erreichen wir die Talsohle und sind beide befriedigt. Wir genehmigen uns noch derer Biere mehrere und spazieren zur Shuttle-Station zurück. Im Hostel selbst verbringen wir einen gemütlichen Abend, der seine Beschaulichkeit beim Zücken der Spielkarten jedoch verliert. Bis aufs Blut wird geschnapst, und ich bekomme von H. eine Niederlage nach der anderen zugefügt. Meine Flucht in billigen Fusel verschärft die Krise meiner Künste noch mehr. Schwer geschlagen trolle ich mich nach Stunden hinter meinen Schlafvorhang. H. rodet im Siegestaumel noch die Bäume im Garten und zündet sie an. Der Schriftzug „I ownz“ ist sicher auch aus dem Weltraum zu sehen.