Freitag, 29. Januar 2010

Tag 4 - Von Fort William ins Ungewisse

12.5.
Start: 6.30 Uhr/ 8 Uhr
Ende: 21.00 Uhr
Wetter: Sehr sonnig, etwas Wind

Der Tag X. Judgement Day. Ein 4. Juli am 12. Mai. The beginning of all things. Neujahr im Frühling. Aufbruch.

Unter dem wohlwollenden Auge einer von Wolken gänzlich unbelästigten Sonne marschieren wir zum Frühstück. Noch einmal ausgiebig Nahrung aufnehmen, ja aufsaugen (vor allem das eingeweichte Müsli), um alle Körperreservoirs bis zum Rand zu füllen. Wer weiß, wann wir wieder normales Essen auf einem Stuhl sitzend und aus einem Teller löffelnd konsumieren können. Die Augen werden einem feucht bei solchen Gedanken, jeder Lichtschalter, jeder Wasserhahn und jedes Möbelstück sind nun Symbol einer gediehenen Zivilisation, die der Natur so vieles hat abringen müssen.

All dies lassen wir hinter uns. Mit bis zum Bersten gefüllten Rucksäcken wanken H. und ich Punkt 7 Uhr (10.30) die ersten Meter Richtung Fähre hinab. „Sind sie zu schwer, sind sie zu schwer“, ein Mantra ohne weitere Konsequenz. Alternativen gibt es nicht, da hilft kein Murren und kein Jammern. Schweißgebadet erreichen wir die Anlegestelle und sehen erfreut, dass unser Trip doch keine Massenveranstaltung sein dürfte. Außer uns sind genau null Menschen gekommen, den Meeresarm zu überqueren. Mehr Platz an Deck und kein Kampf um die Rettungsringe im Fall der Fälle, schon lichtet sich die Stimmung.

Die Überfahrt verläuft unspektakulär. Den Kopf kühn gen den Fahrtwind gewandt mustere ich die gegenüberliegende Küste, die jetzt schnell näher kommt. H. klammert sich etwas angstvoll an seine Kamera und drückt permanent ab. Er hat sich kaum unter Kontrolle. Aber die Erinnerungen werden es ihm danken.


Nach fünf Minuten Bootsfahrt und dreißig Minuten Anlegemanöver sind wir am Ziel angekommen: Dem Beginn der Marschroute. Die Besatzung versichert uns noch, dass ein Panther im Gebiet unterwegs sei und Touristen fresse, was wir mit stoischem Blick und sehnsüchtigem Gedanken an den Patronengurt zur Kenntnis nehmen. Dann legen sie ab und entfernen sich rasch vom Ufer. Wir sind allein.

Erste Aufgabe: Pause. Dann eincremen, gegen die unerbittliche schottische Sonne. Sie ist ja gänzlich anders als die englische, französische oder gar österreichische Sonne, dieser Feuerball der Highlands versengt erbarmungslos das schüttere Sumpfgras und die Leiber der ausgemergelten Schafe. Anders ausgedrückt, es ist gar nicht so kalt. H. besteht darauf, ein Vorher-Bild für den Vergleich mit dem Ende der Reise zu knipsen, ich bin nicht willens, meine Energie schon hier zu verbrauchen und willige daher ein. Etliche Posen später wird es dann wirklich ernst: Zuerst rechts, dann links, dann wieder rechts und erneut links, Schritt für Schritt ins Unbekannte. Schon liegen die ersten Meter der Reise hinter uns, stolz blicken wir zurück auf die bereits bewältigte Strecke.

„Hunger“, sagt H. und deutet abwechselnd auf Mund und Bauch. „Auto“, sage ich und springe gerade noch rechtzeitig zur Seite, bevor ein Kipplaster laut donnernd an uns vorbeizieht. Etwas verdutzt blicken wir uns an, H. zeigt immer noch auf seinen Bauch. Das nächste Auto fährt vorbei. Wir machen Rast.


Das Procedere bleibt in den folgenden Stunden dasselbe. Hunger. Auto. Pause. Auto. Hunger. Auto. Rast. Dabei wiederholen sich Fahrer und Fahrzeug mit einer erstaunlichen Regelmäßigkeit, es muss ein eigener Beruf sein in Schottland, nur an einer entlegenen Straße entlangzufahren.
Abwechselnd fluchen wir ob der Last am Rücken. „Ab dem dritten Tag wird es besser“, sagt H. entmutigend. „Ab dem dritten Tag sind alle Nervenenden hin“, entgegne ich entmutigend. Der Versuch, bei einer Telefonzelle ein Taxi oder einen Gnadenschuss zu bestellen, misslingt. Wir haben keine Wahl, keine Vorwahl von Fort William. Ein Gespräch kommt daher nicht zustande.


Rund acht Stunden (Nettogehzeit 35 Minuten) marschieren wir am Ufer des Loch Eil, das Ziel, sein Ende, immer im Auge. Gegen 17 Uhr rückt dieses dann schließlich in reale Nähe. Nach kurzer intensiver Suche finden wir einen passenden Zeltplatz, direkt an der Kreuzung von der Straße und der Bahnstrecke, am Ufer eines fröhlich gluckernden Baches. H. leitet die Operation Zeltaufbau ebenso umsichtig wie erbarmungslos. Er zeigt einen eisernen Willen, sich die Natur hier Untertan zu machen, ohne Rücksicht treibt er die Heringe mit dem überlebensgroßen Hammer in den schuldlosen Boden.


Es folgt die Essenszeit. Während ich noch etwas dem Plätschern des Wassers und dem Rauschen des Regionalzuges lausche macht H. Feuer. Und schon ist angerichtet. Nudeln mit Tomatensoße. Ein Festessen. Dazu ein Guiness. Unvergleichlich, nicht der Geschmack, sondern der Gedanke, dass morgen eine Dose weniger den Rucksack zu Boden zerrt. Da beginnt der Urlaub.

H. beginnt sich zu Kratzen und starrt auf seinen Arm. „Zecken“, ruft er, doch es ist zu spät. Die Blutsauger fallen über ihn her, während ich noch in Ruhe meine Nudeln schlürfe. Innerhalb kürzester Zeit ist sein Körper dermaßen von den Insekten bedeckt, dass die Zecken, die ihn beißen, schon von anderen Zecken gebissen werden, weil diese sonst keinen Platz mehr finden. Wimmernd windet er sich und hüpft durch das Sumpfgras, reißt sich die Kleider vom Leib und stürzt ins Zelt. Ich trinke aus und folge, während die Sonne kitschig hinterm Horizont verschwindet. „Morgen sind die Schmerzen weg“, murmelt H. halb blutarm und halb schlaftrunken. „Nur wenn wir die Nacht nicht überleben“, sag ich. Nacht.


Dienstag, 12. Januar 2010

Tag 3 - Von Edinburgh nach Fort William

11.5.
Start: 6.30 Uhr/ 9.30 Uhr
Ende: 23.00 Uhr
Wetter: Wolkenlos sonnig


P. (gähnend): Morgen.
H. (gurrend): Morgen.
P.: Frühstück?
H.: Geh weg.
P. (aus dem Waschraum zurückkommend): Frühstück!
H.: Gnarg.
(P. und H. verlassen das Zimmer, queren die Straße und betreten den überfüllten Frühstücksraum.)
H.: Kaffee.
P.: Menschen, geh na.
(H. holt sich einen Kaffee, P. drückt die letzten Tropfen Orangensaft aus dem Tetrapack und setzt sich an einen Tisch. H. kommt dazu)
H.: Wi-der-lich der Kaffee. Wi-der-lich.
P.: Dann trink ihn nicht.
H.: Nana, des wäre die einfache Lösung. Lösung, Löskaffee, haha.
P.: Oh du großer Künstler.
H. (ein verbranntes Stück Toast kauend und auf P.s Croissant deutend): Da sind gehärtete Fette drinnen. Des is ungsund.
P.: Des is ein Abenteuer und mir egal.
H.: Gehärtete Fette sag i.
P.: Und deins is krebserregend. Schwarz und krebserregend. Und verbrannt. Des Wetter is heute schön.
H.: Volle.

(H. und P. essen schweigend ihre gehärteten Fette und krebserregenden Brotscheiben und schlucken die Nahrungsergänzungsmittelklumpen mit gefärbtem heißem Wasser hinunter. P. räumt den Tisch zusammen und trägt das Geschirr in die Küche. H. kratzt sich und steht ebenfalls auf)

P.: Gemma, oder?
H.: Jupp.

(Beide verlassen das Haus auf demselben Weg, wie sie gekommen sind, und betreten wieder ihren Schlafraum. H. wickelt mit verliebtem Schlafzimmerblick seinen Jack-Wolfskin-Toilettbeutel ein und seufzt leise. P. stemmt sein Knie gegen den Deckel des Rucksacks und zurrt die Gurte fest)

H.: Gemma, oder?
P.: Jupp. Hasch alls?
H.: Na, aber egal. Hihi.
P.: Witzkanone.
H.: Des is mei Leben. Gemma.
P.: Gemma.

(Die Protagonisten schultern ihre Rucksäcke, P. zieht nach einem letzten gründlichen Blick ins 4,5 Quadratmeter-Paradies die Eingangstüre zu. Nach Abgabe der Bettlaken und der Schlüsselkarte stehen H. und P. auf der Straße. H. deutet nach rechts und geht los, P. folgt kopfschüttelnd im Abstand von einem gefühlten Kilometer)

H.: Jetzt gemma da ummi und dann da aufi, und dann da abi und dann zum Bus.
P.: Ja gut, dass ma scho die Fahrkarten ham.
H. (panisch): Du hasch eh meine eingesteckt?
P.: (diabolisch): Na, vekauft hab i sie, für a zweites Croissant aus doppelt gehärteten Fettsäuren.
H.: Des werden no lange zwei Wochen.
P.: San ja nur mehr 12 Tage – reicht aber auch.
H.: I brauch a Irn Bru.
P.: I brauch an Schnaps.


(Fröhlich plänkelnd gehen H. und P. über die North Bridge und zwischen den Häusern zur Busstation. Konditionell gestählt sind sie bereits Minuten vor der Abfahrt vor Ort. H. kauft sich Irn Bru, Gummigebäck und alibihalber eine Zeitung. P. kauft sich eine andere Zeitung, Wasser, und alibihalber M&Ms. Der Bus fährt ein, die Massen strömen zum Einstieg)

H.: Schau, der hat auch W-Lan.
P.: Des is wirklich der Witz der Reise. I hätt statt dem Schlafsack den Laptop mitnehmen sollen.
H.: Der hat ja eh 14 Zoll, der reicht zum zudecken.
P.: Eben.

(H. und P. verstauen ihre Rucksäcke im Unterbauch des Busses und suchen sich getrennte Sitzplätze. H. späht gierig-sprungbereit auf die M&Ms)

P.: Trinkt du dei Irn Bru und iss deine rubber things.
H. (emotionale Bedrücktheit heuchelnd): Is scho leer.

(Der Bus fährt ab – auf der falschen Straßenseite – und bringt die Passagiere in gestrecktem Galopp nach Glasgow)


H. (besserwisserisch): Glasgow isch koa schöne Stadt. Da merkt ma glei die Klassenunterschiede.
P.: Aber der Busbahnhof isch eh recht putzig. Und a Uni hams a.
(deutet auf einen Schriftzug an einem Gebäude)
H.: Kimm, aussi, i muss no was zum Essen holen. Und Irn Bru.
P.: Des überrascht mi nitta.
(Beide stürzen hinaus, H. nimmt sogleich Witterung auf. P. genießt die fremdländische Atmosphäre der Busstation)
H. (kauend): Da drüben gibt’s Brote.
P.: Ok, i bin glei wieder da.
H.: I halt den Bus auf.
P.: Bitte ja, bitte.
(P. stürzt laufend zum bereits aufbruchbereiten Bus. H. steht heldenhaft in der Tür)
H.: Er hot gsagt, in zwei Minuten fahr ma, in genau zwei Minuten.
P.: Ja dann, eh massig Zeit. Hock di hin.
H.: Selber.

(Die Fahrt nach Fort William beginnt. Hinaus aus dem vermeintlich hässlichen Glasgow, vorbei an Bäumen und Häusern und Vögeln, entlang von Lochs und Hügeln. Hübsch. Schön könnte man sagen. Erfreulich in jedem Fall. H. erzählt launige Anekdoten von seiner Reise am Westhighland-Way, die ihn einst auf eine ähnliche Route führte wie jetzt den Bus. P. nickt interessiert und haucht sein eiskaltes Mozarellabaguette an. Nach Stunden der Fahrt: Pause. Eine Busstation im Nirgendwo. Die Zahl der Menschen mit Rucksäcken steigt merklich an. Die Reise wird interessant)


H. (gähnend): Nachernd samma da, Fort William (deutet aus dem Fenster).
P.: Schaug an, eh ganz nett.
H.: Se outdoor capital of se UK.
P.: Aha. Magsch no a M&M?
H.: Alle.


(Sie steigen aus und schultern die Rucksäcke. Ein kurzer Fußmarsch führt sie zur Bankstreet-Lodge, dem Ruheplatz für die kommende Nacht. Lethargische Begrüßung, dafür Zimmer mit Fernseher. H. dreht ihn auch augenblicklich auf)


P.: Du kannsch a nit ohne, gell?
H.: Können schon, wollen nit. Harhar.
P.: Medienkrüppel.
H.: Und stolz drauf.

(H. springt ins Bett, die Fernbedienung zwischen den Zähnen. Er gurrt wohlig, während er von Kanal eins über Kanal zwei und drei bis Nummer vier schaltet. Dann wieder retour, auch einmal einen Sender überspringend)

P.: So, was brauchma no?
H.: Irn Bru. Rubber things.
P.: Und abseits des Lebensnotwendigen? Karten? Essen? Trinken? A Boot?
H.: Eh, gemma glei. I brauch no an Gürtel. Und Handschuh wären gut. Und a Hosen. Und Gas. Und an Hammer.
P.: Ja wo sollma des jetzt kriegen in dem Dorf?

(P. schweigt einsichtig. Geschätzte 93 Sportgeschäfte säumen die – einzige – Hauptstraße von Fort William. Dazwischen Pubs und eine Tourist Information. Andere Läden gibt es nicht. Überall hängen Schilder mit Preisreduktionen und Ausverkaufsangeboten. Auch bei der Tourist Information: Gäste aus Osteuropa sind besonders billig zu haben)

P. (die Sprache wieder findend): Des schaut ja gar nit so schlecht aus.
H.: Da eini gemma, da siech i scho a Hosn.
P.: Und i Handschuh. Günstige Handschuh.

(Im Einkaufsrausch erwerben P. und H. Hose, Unterhemd, zwei Paar Handschuhe und ein Paar Socken. Kaum aus dem Geschäft dreht H. wieder um)

H.: Gas. Mir brauchen Gas.

(Wie sich herausstellt gibt es nirgends Gas für den Kochaufsatz von H., dafür andere interessante Dinge)

P.: Der Hammer isch scho recht groß.
H.: Aber a Hammers wärs scho, wenn ma an Hammer mitnehmen.
P.: Nit besser a Netz gegen die Viecher?
H.: Mit dem Hammer kannsch a alle Viecher daschlagn.
P.: Also dann der Hammer.

(P. kauf einen überdimensionalen blauen Plastikhammer, der auch als Waffe durchgehen könnte. Dieses Gedankens gewahr werdend kann sich P. eines Lächelns an der Kassa nicht enthalten)

P.: Den trag dann i, ge.
H.: Tua du lei. Mir brauchen Gas (betritt ein Waffengeschäft).
P.: Schau, da hams Äxte.
H.: I will den Patronengürtel. Aber des Gas passt fürcht i a nitta.

(Nach längerer Suche lassen sich doch noch passende Gaskartuschen auftreiben, H. und P. sind merklich erleichtert. H. kauft im Überschwang noch einen Gürtel um fünf Pfund)

H.: Wart, jetzt schaug ma no glei wegen em Boot. Der Pier isch da unten (deutet wirr in die Luft).
P.: Wenn du des sagsch.
H. (an einen Einheimischen): Where does the Camusnagaul-ferry leave?
Einheimischer: Its broken.
P.: Was hat er gsagt?
H.: Hin ischs. What do you mean broken?
Einheimischer: The engine is gone.
H.: For long?
EH.: For ever.
H.: Alls im Eimer. Koa Boot.
P.: Können ma nit ummigehn? Oder am Land fahren?
H.: Na, des wär a Riesenumweg. When will the ferry work again?
EH.: They are working this night, the engineer is good. So we hope the best.
P.: Sigsch.
H. Ja dann hoffen und beten. Und jetzt Proviant.

(Man steuert den Supermarkt an und beginnt die Suche nach Essbarem in kompakter Form)

H.: Brot, Äpfel, Müsliriegel.
P.: Und polnische Trockennudeln mit Tomatensauce. Die wiegen nix.
H.: Gut, dann können ma mehr Bier mitnehmen.
P.: Juhuu.

(Beiden gefriert das Lachen beim Erfühlen des Gewichts der vollen Dosen)

P.: Ja des nutzt nix, da müssma durch. Wird ja dann bald leichter.
H. (lacht nervös): Ja eh.

(H. und P. bringen den Proviant zurück ins Hotelzimmer, H. dreht augenblicklich den Fernseher auf. P. schichtet den Inhalt seines Rucksackes um und schaut sorgenvoll auf den erstaunlich großen Berg an Ausrüstung und Essen)

P.: Gemma trinken?
H.: Und Schnapsen, du hasch eh die Karten mit?
P.: Ja.
H.: Dann.
P.: Geh.

(Sie betreten ein Pub im Untergeschoss eines alten Hauses, das nur durch eine düstere Gasse erreichbar ist. Der Kellner sieht aus wie ein heroinabhängiger Capoeira-Tänzer. Er spielt Bowling auf der Wii und stellt freudig zwei Tennents bereit)

H.: Prost.
P.: Das letzte Mal in der Zivilisation.
H.: Mir könnten morgen in der Früh…
P.: Hihi.
H.: Tua aussa di Karten, jetzt zockma.
(Es entbrennt sogleich ein heißes Kartenspiel, das H. natürlich verliert. Frustriert beginnt er, Münzen in einen blinkenden Automaten zu werfen)


H.: Kimm jetzt spiel ma Millionenshow. Da kannsch Geld gwinnen.
P.: De Apparate san lei Abzocke.
H.: Eben deswegen.
P.: Dann wart, i hab no Münzen.

(Ein kleines Vermögen später ziehen H. und P. ab. Der Kellner bowlt mittlerweile 100 Pins. Beim Spaziergang zurück hört man den Motor der Fähre schon wieder rattern, helle Beleuchtung an Deck verrät die Betriebsamkeit. In der Herberge sucht H. zitternd nach Gumminahrung, findet aber keine. Auch kein Irn Bru. Erneut frustriert schaltet er den bereits laufenden Fernseher aus und anschließend gleich wieder ein. Dann gurrt er wieder wohlig)


Freitag, 8. Januar 2010

Tag 2 - Edinburgh / Edinborough / North Berwick

10.5.
Start: 6.30 Uhr/ 9 Uhr
Ende: 24.00 Uhr
Wetter: Sehr sonnig, etwas Wind

Nach einer ruhigen Nacht direkt über einer Hauptverkehrsader der schottischen Metropole und einem Frühstück im Sinne von Darwins Survival of the Fittest brechen wir Richtung Meer auf und landen eine Zugfahrt später in North Berwick. Hübsch, und hübsch sonnig.


Geprägt wird die Landschaft von einem Hügel, der uns erfahrenen Alpinisten nur ein Räuspern hinter vorgehaltener Hand entlockt. Doch first things first. Das Meer. Der große Teich. Der Ozean. Schaut gar nicht so groß aus, ist es aber, meint H. Er kann seine naturwissenschaftliche Bildung nicht verstecken.


Der Strand lädt zum Promenieren ein, doch H. hat andere Pläne. Er will ein Eis und späht bereits nach Kindern, denen er selbiges entreißen könnte. Ich sehe schon die Schlagzeilen: Tyrolean behemoth strikes again! Schlimm, schlimm, man muss schon auf einen Wahlsieg der FPÖ hoffen, damit Österreich international bessere Meldungen erhält.


Wir entfernen uns vom Strand und schlagen die Route zum Hügel ein. Wobei, Route ist zuviel gesagt, in abwechselnden Links-Rechts-Abbiegungen irren wir durch das Städtchen. Doch der Tiroler Urinstinkt lässt nicht aus, der Hügel kann uns nicht entkommen. H. flennt. Das Eis hat er natürlich auf einen Bissen verschlungen und ist daher wieder auf Nahrungssuche.


In einem kleinen Laden können wir uns schließlich mit Proviant eindecken, und sind für den Anstieg damit gerüstet. Innerhalb von Minuten erreichen wir den Gipfel – wobei, darf etwas Gipfel heißen, dass man innerhalb von Minuten erreichen kann? Egal, der Blick rechtfertigt die Anstrengung, nach allen Seiten offenes Land. Und das Meer.


Die eindrucksvolle Aussicht kann uns jedoch nicht davon abhalten, gleich wieder ein Kartenspiel zu riskieren. Wer braucht schon idyllische Landschaften, wenn er Trumpf-As und Trumpf-10er sein eigen nennt. Schnapsen auf 150 Meter Seehöhe. Extremsport.


H. und ich beschließen, die Rückreise nach Edinburgh anzutreten. Die Zugfahrt verläuft wenig spektakulär, nur der Blick zurück auf den Hügel bewegt in uns doch etwas Nostalgisches. Jaja, die Natur. Zurück in der Hauptstadt kennen wir beide nur einen Gedanken: Bier. Und Essen. Gleichzeitig gedacht. Bier Essen quasi. Wir finden unser Heil in einem kleinen Pub, das uns nicht nur Speisen und Getränke bietet, sondern auch eine junge Dame, die heiter durch die Räumlichkeiten tanzt. „Geile Schnalle“, meint H. und lacht dreckig. Ich nicke ebenso schmutzig zurück. Das Leben ist gut. Das Essen auch.

Dienstag, 5. Januar 2010

Tag 1 - Von Innsbruck nach Edinburgh

9.5.
Start: 6.30 Uhr/ 7.45 Uhr
Ende: 23.00 Uhr
Wetter: Eisig, starker Regen


Ach Innsbruck, ich muss dich lassen. Zumindest für die nächsten zwei Wochen. Das Land der Schotten – wie Schottland bei den Einheimischen genannt wird – ruft, wiewohl mir von H. mehrfach versichert wurde, dass wir kaum Menschen sehen würden, und damit erst eine wesentliche Vorbedingung für meine Reisebereitschaft geschaffen war. Klamm wird mein Herz, als der Abflug ansteht – allein, es ist nicht präventives Heimweh, sondern der reale Zweifel an der Flugtüchtigkeit des Tyrolean-Jets. Mehr als Farbe hält die Tragflächen kaum am Rumpf, die Propeller dienen eher dazu, Zitronen auszupressen als für den Anstieg über die Wolken. Aber kein Weg zurück, gnadenlos kauend deutet mir H. mich sofort zu setzen. Er hofft offensichtlich dadurch auf schnelleres Catering und eine Extraportion als Belohnung vom Bordpersonal.

Wider Erwarten hebt das Ding – Flugzeug wäre zuviel gesagt – ab, quert die Berge und landet augenblicklich wieder. Wir sind da: Frankfurt, Mainhatten, die Finanzmetropole…ist nicht zu sehen, dafür Kilometer von Asphalt und bunt bemalte Flieger. Wie im öffentlichen Nahverkehr in Österreich kommt der Passagierbus von der Maschine zum Terminal nur langsam voran, was uns schließlich zum schnellen Umsteigen nötigt. Ich fühle mich bereits als Vielflieger und spiele gedanklich mit den Möglichkeiten des Bonusmeilenprogramms.

Eiligen Schrittes besteigen wir ein Flugzeug, das den Namen verdient hat. H. flennt. Sein Zuckerspiegel ist schon in düstere Tiefen gefallen. Ich überlege einzustimmen, da die Uniformen der Flugbegleiterinnen erstaunlich viel Haut und auch Fleisch bedecken. Das Semmelchen mit Leberkäschen und das Riegelchen mit Bananchengeschmack trösten darüber nicht hinweg. Der Fingerhut Orangensaft entschädigt für überhaupt nichts, zumal kein Vodka zugefügt wurde. Schlechte Zeiten, Wirtschaftskrise überall.

Dennoch, niemand kann uns stoppen: Wir zocken. Zweiundzwanzigtausend Meilen über dem Meer lassen H. und ich das erste Mal die Doppeldeutschen aneinanderkrachen. Er bietet vierzig, wir landen in Edinburgh. Das Flugzeug muss geräumt werden. Schwein gehabt.


Der Airport in Edinburgh ist wie die Stadt – alt. Gebaut vor etlichen hundert Jahren sind der romanische Terminal und das Kopfsteinpflaster der Landebahn mit der Landschaft verwachsen. Unkrautjäten nützt nichts mehr, täglich brennen die Wartungstechniker den wuchernden Urwald auf der Rollpiste mit Napalm nieder. Der Himmel ist entsprechend – bedeckt.


Gemessene dreieinhalb Minuten nach der Ankunft beginnt H. erneut zu jausnen, ein Zustand, der die folgenden 14 Tage im gleichen Rhythmus andauern sollte. Es folgt die Fahrt vom Flughafen durch die Elendsviertel, vorbei an elitären Privatschulen und riesigen Parkanlagen. Das zeigt die Armut, in die das Land durch den EU-Beitritt geschlittert ist. H. moniert augenblicklich die Situation und beginnt, ein Lied gegen Europa zu singen: „Ene Mene EU und raus bist Du“. Begeistert klatschen die Menschen auf den Straßen und werfen Münzen gegen den Bus. Mit dem Nothammer schlage ich die Scheiben ein, so kommt das Geld bei den Richtigen – uns – an. Das Pfund ist ja noch kostbar, Geld, das wie eine Gewichtseinheit heißt, kann nur wertvoll sein.
Die Rezeption in unserer Unterkunft wird von einem Menschen betreut, der offensichtlich Vorlage für und/oder Statist in Trainspotting war. Aber sehr freundlich. Das Zimmer hingegen, so viel Worte für Farben existieren nicht, um es zu beschreiben. Friedensreich Hundertwasser hätte bei einem solchen Anblick wohl sofort das Zeitliche gesegnet. Grün mit violetten und gelben Einsprenklungen. Was gewollte Farbgebung und was ein Resultat der Nutzung ist bleibt das Geheimnis des Hauses. Ob dieser Zustände sind die Hochsicherheitsschlösser eher überflüssig. Sie können nur dazu gedacht sein, Menschen im Inneren zu halten.

Als wir in die Stadt gehen schüttet es. Regen besteht in Schottland nur aus Wasser, kommt aber neben oben ebenso von der Seite und nach kurzer Zeit auch von unten. Wir retten uns, halb springend, halb schwimmend, über die Straße in ein Lokal mit Essgelegenheit. Zum Einstand gleich Traditionelles: Pizza. H. und ich blicken uns erleichtert an, das Überleben scheint gesichert.


Die anschließende Tour durch das alte bis antike Städtchen dient ausschließlich der Zeitüberbrückung bis zum Sonnenuntergang, will H. doch unbedingt eine Geistertour durch den Untergrund Edinburghs machen. Meine Beteuerung, dass Gespenster vor uns sicher Angst hätten und Begegnungen der dritten Art daher unwahrscheinlich seien, die können ihn nicht davon abbringen. Er brauche den Kick, so H., er habe im Verlauf der Reise (wir halten bei Stunde fünf) schon sämtliche Furcht verloren und sie mit innerer Taubheit geschlagen. Ich willige ein, den Ausgang schon kennend. Das einzig Grauenhafte war schlussendlich der Preis. Zum Glück gibt es Bier.


Samstag, 2. Januar 2010

Einleitung

Bis heute weiß ich nicht, ob es Vorsehung oder Versehen war: Jener Moment, als H. vermeintlich unbeobachtet das Buch aus dem Regal genommen, eingesteckt, bei der Kassa dann doch bezahlt und schließlich zu Hause gelesen hat. Die Interpretation ist einerlei, was folgte viel wichtiger. Schließlich setzte dieser Akt der Aneignung eine Kette an Ereignissen in Bewegung, die zu einem recht ausgedehnten Spaziergang im Frühjahr des Jahres 2009 führten. Lesen zu können ist Fluch und Segen zugleich.

Denn im Buch „North to the Cape“ schildern Denis Brook und Phil Hinchliffe in leicht verständlichen Sätzen (und teils auch mit Bildern) einen durchaus anspruchsvollen Wanderweg von Fort William nach Cape Wrath – vom Norden Schottlands noch weiter in den Norden Schottlands. Die Route klingt in Buchstaben ausgedrückt interessant, sehenswert und ideal, um einmal seine Ruhe zu haben. Dass die Herren H. und P. die Herausforderung annehmen würden war daher nur mehr eine Frage der Organisation.

Die folgenden Zeilen sollen ein möglichst realistisches Bild der Reise skizzieren und lassen sich in Echtzeit lesen; Kinder mögen sie zu Hause nachahmen.