Dienstag, 1. Februar 2011
Tag 15 - Von Edinburgh nach Innsbruck
Sonntag, 12. Dezember 2010
Tag 14 - Von Glasgow nach Edinburgh
Mittwoch, 3. November 2010
Tag 13 - Glasgow
Freitag, 9. Juli 2010
Tag 12 - Glasgow
Start: 7 Uhr/10 Uhr
Ende: 24 Uhr
Wetter: Heiter
Mein Gott, wie furchtbar kann ein Frühstück eigentlich sein? Eine rhetorische Frage, nach heute Morgen. Die Leute hungern zu lassen wäre demgegenüber eine Wohltat. Grausiges Wasser, grausiges Brot, grausige Menschen. Herrliche Butter, aber grausiger Orangensaft. Widerlich. Kurz huscht mir der Gedanke durch den Kopf, H.s Pizzareste zu essen, aber aus Angst vor seinen großen Händen verjage ich ihn ganz schnell wieder.
H. jammert ebenso, der Kaffee sei eine Marter gewesen. Leicht ferngesteuert beginnt er daher unseren Stadtspaziergang. Er will zum Hafen. Zum Turm. Zum Hochhaus. Zum Weg. Ach zum Teufel. Er wechselt seine Meinung so schnell wie sonst nichts an seinem Körper. Mit Abstand nicht. Seine Orientierungslosigkeit verlangt nach Führung und Unterstützung, beides keine Eigenschaften, mit denen ich derzeit dienen kann. Eher schnell weglaufen und hoffen, dass H. nicht hinterherkommt, ja, das scheint mir ein vernünftiger Plan zu sein. Aber die Muskeln, und die Sehnen, und die Knochen, man kann es getrost als körpereigene Verschwörung gegen den Freiheitsdrang nennen. Es zwickt, kracht, quietscht und gibt unvermutet nach. Besser doch Fortbewegung im Schritttempo.
Immer tiefer dringen wir in die Geheimnisse von Glasgow und die unbekannten Gegenden vor. Die Stadt entpuppt sich als weitaus weniger hässlich als erwartet. Die Häuser verdienen diesen Namen, ebenso die Straßen und Grünanlagen. Beinahe sehenswert. Unsere schlimmste Begegnung – im Sinne von schlimm für unser weiteres Fortkommen an diesem Tag – ist zweifelsfrei jene mit einem second hand Musik- und Filmladen. Überraschend viel Angebot für überraschend wenig Geld. Der Einkauf wird schon fast zum Wettlauf ums Prestige. H. kauft insbesondere Dinge, die er schon hat. „Weil ma kafft ja auch die Erinnerung mit“, gibt er von sich. Im Endeffekt stoppt uns die eigene Tragkraft davon, noch einige Zeit mehr in dem Geschäft zu verbringen.
Nächste Station: Ein Park. Und ein Eis für H. Im Seniorenstil verbringen wir einige erholsame Momente auf den Holzbänken und schauen den jungen strammen Schotten bei der Gartenarbeit zu. H. will sie zu gewagteren Posen ermuntern und winkt mit einem Zehn-Pfund-Schein. Ich würde gern im Boden versinken. Der ist aber leider asphaltiert.
Die friedliche Umgebung des Parks täuscht, urplötzlich finden wir uns in Todesgefahr wieder. Eine Art Eichhörnchen lauert uns am Wegesrand auf und zeigt keinerlei Anstalten, uns passieren zu lassen.
Als ich die Augen wieder öffne ist das Monster nicht mehr zu sehen. H. blickt verliebt auf den LCD-Schirm seiner Kamera: „Ja guat hamma des wieder gmacht, a Meisterwerk nachm nächstn“. Ich gehe wortlos weiter. Nach leichten Orientierungsdifferenzen finden wir schließlich einen Weg aus dem wahrhaft labyrinthartigen Garten und erreichen wieder bewohntes Gebiet. Zumindest Häuser sind zu sehen, Menschen eher weniger.
Erfreulicherweise spielt Crowe optisch einen Hanno Winder ohne Gitarre, was mir die ganzen 127 Minuten sehr versüßt. H. zwinkert seinerseits Ben Affleck bei jedem seiner Auftritte schnippisch zu. Sein verträumtes Gemüt belustigt mich und stimmt mich doch auch neidisch bis sehnsüchtig. Da ist kein Platz für graue Realität.
Die Dosis Alkohol zum Einschlafen holen wir uns anschließend im hoteleigenen Osmosis-Club. What a burner, um die Landessprache zu gebrauchen. Tolle Getränke und tolle Musik. H. ist ganz weg von den aufeinander folgenden Bling-Bling-RnB-Videos, wo fesche Frauen mit fettreichen Hinterteilen ihre mit Diamanten und Gold veredelten Körperteile perspektivisch wertvoll in die Kamera halten. Leider droht schon die Sperrstunde, als wir ankommen, wir müssen daher schnell trinken. Nach zwei Gläsern Hochprozentigem raunt mir H. verschwörerisch sein Geheimnis für großartige Fotos ins Ohr: Belichten, belichten, belichten. Ich schreibe eifrig mit.
Freitag, 25. Juni 2010
Tag 11 - Von Fort William nach Glasgow
Start: 7 Uhr/11 Uhr
Ende: Finster war es
Wetter: bewölkt, etwas Regen
Unser geschätzter Busfahrer ist zurück und bringt uns in halsbrecherischem Tempo nach Glasgow, diese große fremde Stadt. H. zeigt sich ortskundig und führt mich in eine kleine schmucke Pension mit 13 Stockwerken und legebatterieartigen Zimmern. Endlich etwas Abwechslung. Der Fernseher ist zudem mit einem Münzschlitz versehen, was H. vor wirtschaftliche Grundsatzentscheidungen stellt: Glotze, Irn Bru oder rubber things. Die Weltwirtschaftskrise ist ein Klacks gegenüber den Einschnitten, die H. bevorstehen.
Der Hunger treibt uns schließlich doch aus dem gut gesicherten Zimmer hinaus in die rohe Wildheit der Großstadt. Im Pizza-Hut, einem offensichtlichen schottischen Familienbetrieb, erlebe ich dann das Unvorstellbare. H. wird satt. Mehr noch, er kann die Riesenpizza mit zusätzlichem Käserand gar nicht ganz essen. „Burp“, das ist das einzige Wort, welches neben seinem Mageninhalt noch Platz im Körper findet. Dieses Datum muss ich notieren. Dass H. natürlich einen Karton verlangt hat, um seine restliche Pizza mitzunehmen versteht sich von selbst. Er baut ja zu allen seinen Speisen eine sehr persönliche Beziehung auf und gibt ihnen Namen. Meistens Franz und Kriemhild, seltener auch Antonio oder Rocky. Seine Nudelsuppe hat er neulich Sepp Pröll getauft.
Montag, 19. April 2010
Tag 10 - auf den Ben Nevis
Start: 7 Uhr/8 Uhr
Ende: 14.30 Uhr
Wetter: Bewölkt, dann Regen
Die Tiroler Gene schlagen durch, wir müssen auf den Berg. Besser gesagt, auf DEN Berg. Ben Nevis, der höchste Hügel in ganz Großbritannien, der felsige Hauptgrund für Fort Williams Namenszusatz „Se outdoor capital…“. Tagelang haben H. und ich Karten studiert und Wegbeschreibungen verinnerlicht, damit unser Gipfelsturm durch Kleinigkeiten wie Orientierungslosigkeit nicht gestört werden kann. Zweifelsohne wird der Sieg über den Berg einer der Höhepunkte unserer Reise und damit auch der geplanten Volkshochschul-Diareihe. Doch diese meine Annahme war etwas verfrüht.
Denn kaum sind wir raus aus dem Haus und über die Hauptstraße, schon meldet sich H. bedrückt zu Wort. Er fürchte, dem Anstieg nicht gewachsen zu sein. Der von Krankheit geschwächte Körper schaffe maximal noch zehn Meter. Sein Vorschlag, gleich hier ein Basislager zu errichten und den vor uns liegenden Kreisverkehr erst morgen zu durchwandern lehne ich mit Verweis auf das unsichere Wetter ab. Also trennen wir uns. Ich geh auf den Berg, H. dem Wirt auf die Nerven.
Meinem Stolz Tribut zollend habe ich mich selbstverständlich dazu entschlossen, den Beginn des Anstieges per Fuß zu erreichen. Die wenigen Zentimeter auf der Karte entpuppen sich völlig überraschend als mehrere Kilometer Landstraße, die ich mich vollem Gepäck, Stöcken und Ungläubigkeit im Geiste abspulen muss. Wenigstens die idyllische Landschaft belohnt die wanderische Zusatzleistung, auch wenn ich keine Schafe mehr sehen kann. Ich ertappe mich dabei, mental bereits zurückzumähen und bin erleichtert, endlich den Pfad auf den Ben Nevis zu erreichen.
Steine. Viele Steine, Enorme Steinmengen. Steine soweit das Auge reicht. Der Weg ist nicht unbedingt mit Abwechslungsreichtum geschlagen, für Variationen sorgen nur die bunt gekleideten Touristen, die vor, hinter und neben mir aufsteigen. Mehr als einmal steht man vor der schwierigen Wahl, weiterzuschnaufen oder zu grüßen. Auf halber Höhe wechselt sowohl das Panorama als auch das Wetter. Die Steine sind nun rot, der Himmel nun finster und Regen setzt ein. H. fehlt mir, ich kann meine Boshaftigkeit an niemandem auslassen.
Ich gehe dennoch weiter und werde sogleich damit belohnt, zwei Straßenarbeiter samt Bagger mitten auf dem Berg zu treffen. Die Gedankenspiele, wie dieses Gefährt hier heraufgekommen ist (Zauberei; zerlegt und wieder zusammengesetzt; Zufall; Eiszeitleiche), vertreiben mir die Zeit beim steiler werdenden Serpentinenspaziergang. Wieder wechselt die Szenerie, die Steine werden zu Steinchen, der Himmel weißlich und Nebel setzt ein. Absolute Stille, kein Todesschrei durchdringt die immer dichter werdende Suppe. Herrlich. Ich fühle mich wie im Finale eines Blockbusters im Stil von Cliffhanger. „Sly, where are you my man?“, denke ich bei mir. Ein Schluck Wasser und ein Bissen Apfel, dann geht es schon weiter über den immer mehr mit Schnee und Eis bedeckten Weg. Ich ärgere mich, dass ich mangels Karotte keinen Schneemann bauen kann.
Die Sicht wird zusehends (haha) schlechter. Meine Hände sehe ich nur mehr, weil sie durch die Kälte knallrot leuchten, wo meine Füße sind kann ich nur erraten. Einzig meine Brille nehme ich noch deutlich wahr, vielmehr die munter wachsenden Eiskristalle auf den Gläsern. Als der Gipfel nur noch geschätzte 50 Meter entfernt ist fälle ich eine folgenschwere Entscheidung: Umkehr. Nicht wegen der Sicht (mittlerweile renne ich mir dauernd die eigenen Stöcken in den Bauch), sondern wegen der zunehmenden Zahl an Wanderern. Ich war nie ein Fan von Massenbewegungen, und dass Ben Nevis so überlaufen ist finde ich schlicht unakzeptabel.
Folgerichtig drehe ich um und mein wacher Geist hat keine Probleme, sogleich eine Selbstrechtfertigung zu ersinnen: Die wahre Leistung besteht darin, sich kurz vor dem Ziel ein neues zu stecken und das bisher Erreichte damit obsolet zu machen. Dieser Sinnspruch schallt in meinen Schädelwänden, während ich mich über Steinchen, rote und graue Steine, durch Schnee, Nebel und Regen, wieder an den Fuß des Berges begebe. Einmal mehr zeigt sich, dass der Weg hinunter gleich lang wie der Weg hinauf ist. Parallelwelten überall.
Erschöpft und durchnässt erreiche ich die Unterkunft, in der H. fernsehend auf einem Berg aus leeren rubber things Päckchen liegt. Er blickt mich unverständig an, war er doch der Meinung, ich würde die ganze Zeit bereits neben ihm sitzen und lesen. Ich verzichte auf einen Erklärungsversuch und schlage ihm wortlos mehrmals auf den Arm. Dann eine Dusche, sehr erfreulich.
Für den letzten Abend in Fort William haben wir uns etwas Besonderes überlegt: Alkohol und Karten spielen, dazu ein wenig Essen. Es ist ein würdiger Abschluss unseres Aufenthaltes im Outdoor-Ressort von Großbritannien. Morgen geht es schließlich nach Glasgow und damit in eine ungleich menschenreichere Gegend. Ich bin froh, dass H. so viele Bäume fotografiert hat, es wird uns noch eine große Hilfe sein. Im Übrigen trinkt er mittlerweile schneller und mehr Bier als ich. Ich muss wohl die Leber austauschen, und bei der Gelegenheit vielleicht gleich ein internistisches Komplettservice vornehmen. Wer sagt, man könne gute Vorsätze nur an Neujahr fassen?
Samstag, 10. April 2010
Tag 9 - von Arisaig nach Fort William
Start: 7 Uhr/ 10 Uhr
Ende: 23 Uhr
Wetter: Sonnig, bedeckt
Scheiden tut weh, unser Abschied aus Arisaig fällt entsprechend tränenreich aus. H. weint, natürlich, aber sein Heulen klingt heute besonders herzzerreißend. Ich kann mich der feuchten Augen auch nicht verwehren, es war doch eine große Zeit voll von großen Emotionen, selbst wenn diese nur im Fernsehen abliefen. Rugby-Endspiel sag ich nur. Zudem scheint in der Umgebung gerade eine besonders aggressive Pollensorte zu blühen.
Den vermeintlich verpassten Zug (H. musste noch rubber things auftreiben) erreichen wir spielend, da er Verspätung hat. Alles hat seine Vorteile, sage ich in tiefschürfender Stimmlage. H. hört aber nicht zu, er befindet sich gerade in einem wer-blinzelt-zuerst-Duell mit einem Gummibärchen. Ich muss ihn unter seinen Schreien „Aufgeben tuat ma an Brief“ in den Waggon zerren, damit wir nicht endgültig hier im wilden Westen stranden. Noch stundenlang macht er mich für seine Niederlage im Blickwettkampf verantwortlich.
Wir kehren zurück zum Ausgangspunkt der Wanderung, Fort William. „Se outdoor…“ setzt H. an, da halte ich mir schon die Ohren zu und singe laut die Landeshymne. Unsere Beziehung steht momentan auf Taschenmessers Schneide. Versöhnlichen Tones verspricht H. mir einen Kinobesuch. Meine Zweifel, ob es hier überhaupt ein Lichtspieltheater gebe, quittiert H. mit einem „Sowieso, i kenn mi da aus“.
Einen Nachmittag später ist klar, es gibt natürlich kein Kino in Fort William, H. kennt sich natürlich nicht aus. Ich bin schwer enttäuscht, schwer wütend. Jetzt flennen wir beide. Aber insgeheim bin ich auch schwer stolz, einmal mehr Recht behalten zu haben. Als Alternativprogramm entscheiden wir uns für Bowling – eine derartige Halle steht überraschenderweise zur Verfügung. 10 Bahnen, also für jeden Einwohner zweieinhalb, das ist gelebter Sozialismus. Trotz sichtbarer Anstrengungen hat H. selbstverständlich keine Chance gegen meinen Geheimstil. Die Kugel darf nicht rollen, sie muss rutschen. Dann funktioniert das Abräumen problemlos. Mit großen Schritten und äußerst dynamisch bowlen wir in Richtung Stadtrekord, der finstere Blick des Anlagenbetreuers veranlasst uns aber dazu, dann doch mehr Splits als Strikes zu werfen. Man will ja die Gastfreundschaft nicht strapazieren.
Waren wir zu Beginn noch allein auf der Bahn, so gesellen sich zusehends Menschen zu uns. Die meisten kommen, um H. bowlen zu sehen, teils aus Bewunderung, teils zur Belustigung. Einige suchen aber auch die sportliche Herausforderung oder einen Vorwand für zwischenmenschliche Bindungsrituale. Merke: Wenn dein Gegenpart geschätzte 1.10 groß und 20 Kilogramm schwer ist, dann ist Bowling nicht unbedingt ideal für das Liebeswerben.
H. verlangt nach Essen: „Hunger“, ruft er nach jedem Wurf. Ich schließe mich an, war der Tag doch schon lang und die Anstrengung groß. Als wir die Halle verlassen begegnen wir zwei schottischen Landschönheiten, die Martha und Gwendolyn heißen müssen. H. will sie gleich ansprechen, da er meint, sie müssten ob ihrer Wohlgenährtheit genau wissen, wo er seinen Hunger endlich stillen könne. Nur schwer kann ich ihn bremsen. Aus grundsätzlicher Ablehnung von Menschen und aus schlichter Angst, von den Essensresten zwischen ihren Zähnen schwer verletzt zu werden, halte ich ihn zurück und schleife ihn zu McDonalds. Ein Restaurant mit schottischem Namen, das verspricht einheimische Köstlichkeiten bei entsprechend traditionellem Ambiente.
Die Müdigkeit der vergangenen Tage schlägt mehr und mehr durch, wir ziehen uns daher früh ins Zimmer zurück. H. findet das gut, weiß er doch um den Fernseher im Zimmer. Im Abendprogramm zeigt sich einmal mehr, dass die Schotten durchaus ein Völkchen mit Nationalstolz sind: Ein Western mit Connery läuft. Obwohl, zugegeben, vielleicht zeigt die Filmauswahl auch vielmehr, dass die Schotten über sich selbst lachen können.
H. kann es nicht. Über sich lachen. Eine launige Bemerkung meinerseits zu seiner „Diät“ bringt nur einen bösen Blick ein. Das nächste, woran ich mich erinnere ist, dass ich neben dem Bett liege. Samt der Matratze. Ich ziehe kurz in Betracht, hierzubleiben, da es sich ganz angenehm liegt, aber mein Überlebenswillen gewinnt doch die Oberhand. Behände werfe ich meinerseits H. vom Bett und entreiße ihm die Fernbedienung. Die Tür hinter mir verriegelnd flüchte ich damit ins Badezimmer. H.s Wutgeschrei ist vermutlich in der ganzen Stadt zu hören, sein Schlagen gegen die Tür hat presslufthammerartiges. Das wird eine unruhige Nacht.