Samstag, 10. April 2010

Tag 9 - von Arisaig nach Fort William

17.5.
Start: 7 Uhr/ 10 Uhr
Ende: 23 Uhr
Wetter: Sonnig, bedeckt


Scheiden tut weh, unser Abschied aus Arisaig fällt entsprechend tränenreich aus. H. weint, natürlich, aber sein Heulen klingt heute besonders herzzerreißend. Ich kann mich der feuchten Augen auch nicht verwehren, es war doch eine große Zeit voll von großen Emotionen, selbst wenn diese nur im Fernsehen abliefen. Rugby-Endspiel sag ich nur. Zudem scheint in der Umgebung gerade eine besonders aggressive Pollensorte zu blühen.

Den vermeintlich verpassten Zug (H. musste noch rubber things auftreiben) erreichen wir spielend, da er Verspätung hat. Alles hat seine Vorteile, sage ich in tiefschürfender Stimmlage. H. hört aber nicht zu, er befindet sich gerade in einem wer-blinzelt-zuerst-Duell mit einem Gummibärchen. Ich muss ihn unter seinen Schreien „Aufgeben tuat ma an Brief“ in den Waggon zerren, damit wir nicht endgültig hier im wilden Westen stranden. Noch stundenlang macht er mich für seine Niederlage im Blickwettkampf verantwortlich.

Wir kehren zurück zum Ausgangspunkt der Wanderung, Fort William. „Se outdoor…“ setzt H. an, da halte ich mir schon die Ohren zu und singe laut die Landeshymne. Unsere Beziehung steht momentan auf Taschenmessers Schneide. Versöhnlichen Tones verspricht H. mir einen Kinobesuch. Meine Zweifel, ob es hier überhaupt ein Lichtspieltheater gebe, quittiert H. mit einem „Sowieso, i kenn mi da aus“.

Einen Nachmittag später ist klar, es gibt natürlich kein Kino in Fort William, H. kennt sich natürlich nicht aus. Ich bin schwer enttäuscht, schwer wütend. Jetzt flennen wir beide. Aber insgeheim bin ich auch schwer stolz, einmal mehr Recht behalten zu haben. Als Alternativprogramm entscheiden wir uns für Bowling – eine derartige Halle steht überraschenderweise zur Verfügung. 10 Bahnen, also für jeden Einwohner zweieinhalb, das ist gelebter Sozialismus. Trotz sichtbarer Anstrengungen hat H. selbstverständlich keine Chance gegen meinen Geheimstil. Die Kugel darf nicht rollen, sie muss rutschen. Dann funktioniert das Abräumen problemlos. Mit großen Schritten und äußerst dynamisch bowlen wir in Richtung Stadtrekord, der finstere Blick des Anlagenbetreuers veranlasst uns aber dazu, dann doch mehr Splits als Strikes zu werfen. Man will ja die Gastfreundschaft nicht strapazieren.

Waren wir zu Beginn noch allein auf der Bahn, so gesellen sich zusehends Menschen zu uns. Die meisten kommen, um H. bowlen zu sehen, teils aus Bewunderung, teils zur Belustigung. Einige suchen aber auch die sportliche Herausforderung oder einen Vorwand für zwischenmenschliche Bindungsrituale. Merke: Wenn dein Gegenpart geschätzte 1.10 groß und 20 Kilogramm schwer ist, dann ist Bowling nicht unbedingt ideal für das Liebeswerben.

H. verlangt nach Essen: „Hunger“, ruft er nach jedem Wurf. Ich schließe mich an, war der Tag doch schon lang und die Anstrengung groß. Als wir die Halle verlassen begegnen wir zwei schottischen Landschönheiten, die Martha und Gwendolyn heißen müssen. H. will sie gleich ansprechen, da er meint, sie müssten ob ihrer Wohlgenährtheit genau wissen, wo er seinen Hunger endlich stillen könne. Nur schwer kann ich ihn bremsen. Aus grundsätzlicher Ablehnung von Menschen und aus schlichter Angst, von den Essensresten zwischen ihren Zähnen schwer verletzt zu werden, halte ich ihn zurück und schleife ihn zu McDonalds. Ein Restaurant mit schottischem Namen, das verspricht einheimische Köstlichkeiten bei entsprechend traditionellem Ambiente.

Die Müdigkeit der vergangenen Tage schlägt mehr und mehr durch, wir ziehen uns daher früh ins Zimmer zurück. H. findet das gut, weiß er doch um den Fernseher im Zimmer. Im Abendprogramm zeigt sich einmal mehr, dass die Schotten durchaus ein Völkchen mit Nationalstolz sind: Ein Western mit Connery läuft. Obwohl, zugegeben, vielleicht zeigt die Filmauswahl auch vielmehr, dass die Schotten über sich selbst lachen können.

H. kann es nicht. Über sich lachen. Eine launige Bemerkung meinerseits zu seiner „Diät“ bringt nur einen bösen Blick ein. Das nächste, woran ich mich erinnere ist, dass ich neben dem Bett liege. Samt der Matratze. Ich ziehe kurz in Betracht, hierzubleiben, da es sich ganz angenehm liegt, aber mein Überlebenswillen gewinnt doch die Oberhand. Behände werfe ich meinerseits H. vom Bett und entreiße ihm die Fernbedienung. Die Tür hinter mir verriegelnd flüchte ich damit ins Badezimmer. H.s Wutgeschrei ist vermutlich in der ganzen Stadt zu hören, sein Schlagen gegen die Tür hat presslufthammerartiges. Das wird eine unruhige Nacht.

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