Samstag, 20. Februar 2010

Tag 6 - Von Strathan nach Glennfinnan

14.5.
Start: 6.30 Uhr/ 8 Uhr
Ende: 19.00 Uhr
Wetter: sonnig, sehr windig

So geht es nicht weiter – H. meint, wir müssten zumindest 28mal mehr Essen mithaben. Also 28 Müsliriegel statt einem, geteilt in 28 mundgerechte Portionen. Ich halte das für übertrieben, zwischen den Zähnen finden sich laufend Reste und auch das eine oder andere kalorienreiche Insekt kann man erlegen. Zudem ließen sich die ohnehin wenig erbaulichen Begegnungen in rauschende Schlachtfeste verwandeln. Taschenmesser haben wir ja beide. Ich könnte dann die Vorräte der Menschen essen, und H. die Menschen selbst. Doch seine Logik ist heute wieder sehr stark, vor allem im Bizeps-Bereich. Er droht mir Prügel an. Daher: Planänderung, wir gehen nach Glenfinnan.

„Zum Irn Bru, zu de rubber things, harhar“, sagt H. Er ist ganz klar von niedrigen Instinkten getrieben und will wieder in die Zivilisation. Ich vermute ganz stark, dass er auch einen Fernseher braucht. Dringend. Neues Item für die Liste kommender Trips: Eine Fernbedienung, die TV-Geräusche macht.

Also gehen wir, wieder durch ein Tal („hübsch“), wieder über einen steilen Anstieg („steil“)...

... über einen Pass („hübsch“). Die großartige Landschaft bringt uns an die Grenzen unseres Wortschatzes.


Ich versinke zwischenzeitlich bis zu den Knien im schottischen Schlamm und verdanke H. und seiner trägen Reaktion nun mein Leben. Die Reise folgt eigenartigen Bahnen.

Das Guiness am Pass ist überaus belohnend.


H. und ich entwickeln trotz dieser Befriedigung mittlerweile eine Paranoia. Permanent werden wir von Flugzeugen überflogen. Wir sind uns sicher, von Denis und Phil feixend verfolgt zu werden. Schweine, schottische. „Nachernd mias ma sie wenigstns ned suchn zum Lynchn“, sagt H., der jeder Situation etwas Positives abgewinnt.

Kreativ ist dieser Tag ein voller Erfolg: Im schon gewohnten Wahn hat H. beschlossen, Irn Bru mit Guiness zum Schottischen Radler zu machen, zum „Se Biker“ wie er mir nun laufend versichert. „Se Biker“ würde die Seele des Landes in allen seinen Facetten abbilden. Wirtschaftlich ist das Desaster absehbar: H. würde alles selber trinken (jeder panscht für sich allein) und müsste für die Produktion sämtliche Organe verpfänden. Die Nieren sind ja wegen übermäßigem Irn Bru Konsum längst als Sonder- und Sperrmüll zu betrachten, der Reinerlös der Selbstausschlachtung daher vermutlich gering. Ruiniert und mit leerer Bauchhöhle bliebe ihm nur die Möglichkeit, unbezahlt als se-nameless-monster Teil der Geisterjagd in Edinburgh zu werden, um Geld für das nächste Irn Bru aufzutreiben. Ein Ginger-Junkie im Teufelskreis.

Weiter und weiter führt uns der Weg, der plötzlich vor uns aufgetaucht ist, als hätte er schon länger auf uns gewartet. Schon wird im Tal das Wäldchen sichtbar, welches uns als Anhaltspunkt für das Linksabbiegen dienen soll.


Die Zivilisation kommt rasch näher. Ein Strommast, ein Haus und eine Hütte. Dazu ein noch breiterer Weg.


Fast etwas enttäuscht nähern wir uns dem so genannten bothy, welches Unterschlupf in rauen Zeiten gewähren soll. Idyllisch sieht es aus, mit den weißen Gartenmöbeln und dem offenen Kamin. H. muss weinen. Ich will Alkohol. Wir hätten unsere Wasserflaschen mit Schnaps füllen sollen, solange wir die Chance dazu hatten.



Spuren hinterlassen: Das ist wichtig in einer Zeit, in der sich alles immer eiliger bewegt. Also kleben wir einen ORF Radio Tirol Sticker ins Gästebuch des bothys und verfassen einige Zeilen hinreißender Prosa.


Während ich noch schreibe und klebe hat H. bereits seinen Rucksack geschultert und zerrt an meiner Hose. Er will los, Glenfinnan noch vor Einbruch der Nacht erreichen. Essen und Fernsehen locken ihn sehr.

Dass Straßen lang und einsam sein können wusste bereits El Camino Santiago. Aber doch nicht so lang, und nicht so einsam. Zwar ist der Weg hübsch asphaltiert, aber offenbar mussten im Infrastrukturministerium Schottlands noch etliche Gelder verbraucht werden. Anders ist nicht zu erklären, warum der Weg eine Kurve nach der anderen macht. Zuschütten, zubetonieren und für Richtgeschwindigkeit 130 km/h freigeben, das Inntal macht es vor.


H. schweigt, er ist doch merklich aufgeregt. Jetzt, jede Minute, müsse uns die Harry-Potter-Brücke entgegenlachen, meint er. Längst trägt er keine Wanderkleidung mehr, sondern hat einen schwarzen Zaubererumhang übergeworfen und einen alten staubigen Spitzhut aufgesetzt. Die Stöcke hat er gegen einen Zauberstab getauscht, mit dem er wild in der Luft herumfuchtelt. Meine – zugegeben ironische bis massenkulturell kritische – Frage, ob wir denn auf seinem Besen weiterfliegen könnten quittiert H. mit einem bösen Blick und fluchendem Gemurmel. Kein Humor mehr auf der Welt.



Nach einem tränenreichen Abschied vom Eisenbahnaquädukt erreichen wir angeblich Glenfinnan. Angeblich deshalb, da der Ort aus einer wenig befahrenen Straßenkreuzung zu bestehen scheint. Als Zugabe gibt es einen – in Worten: einen – Wegweiser zu einem – in Worten: einem – Hotel.

Aber nach den bisherigen Erlebnissen ist ein Hotel genau ausreichend für unsere Zwecke, wir zögern daher keine Sekunde (nach halbstündiger Pause), das House Hotel auch tatsächlich aufzusuchen. Die idyllische Lage an einem weiteren Loch schlägt zwar auf den Preis, doch wir sind zu allem bereit. Ich auch dazu, H. zu verkaufen. Insgeheim bettle ich sogar, dass sie ihn nehmen würden, etwas mehr zu bezahlen wäre kein Problem meinerseits.

Das Zimmer ist erfreulich geräumig und verfügt neben den klassischen Stilmöbeln über einen Jakuzi, eine sprudelnde Badewanne, ein schäumendes Biotop, einen warmen Wasserfall der Erholung. Feuchte Wanderträume sehen genau so aus:


Dafür hat die Tür kein Schloss und wir bekommen auch keinen Schlüssel. „We are a big family“, sagt der Rezeptionist – wenn der wüsste. Abgesehen davon ist das Familienleben Argument Nummer eins für Schlösser jeglicher Art.

Essen gibt es auch, an der Bar, an der sich außer uns noch eine große Festgesellschaft lautstark mästet und unterhält. Ja, Schlüssel wären sehr wichtig. Die Dame hinter der Theke zapft erfreulich zackig ein Ale nach dem anderen, doch dann macht sie leider den Mund auf: Deutsche. Heirat somit ausgeschlossen, ein weiteres Bier allerdings nicht. Der Abend kommt glücklicherweise schnell.

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