Dienstag, 5. Januar 2010

Tag 1 - Von Innsbruck nach Edinburgh

9.5.
Start: 6.30 Uhr/ 7.45 Uhr
Ende: 23.00 Uhr
Wetter: Eisig, starker Regen


Ach Innsbruck, ich muss dich lassen. Zumindest für die nächsten zwei Wochen. Das Land der Schotten – wie Schottland bei den Einheimischen genannt wird – ruft, wiewohl mir von H. mehrfach versichert wurde, dass wir kaum Menschen sehen würden, und damit erst eine wesentliche Vorbedingung für meine Reisebereitschaft geschaffen war. Klamm wird mein Herz, als der Abflug ansteht – allein, es ist nicht präventives Heimweh, sondern der reale Zweifel an der Flugtüchtigkeit des Tyrolean-Jets. Mehr als Farbe hält die Tragflächen kaum am Rumpf, die Propeller dienen eher dazu, Zitronen auszupressen als für den Anstieg über die Wolken. Aber kein Weg zurück, gnadenlos kauend deutet mir H. mich sofort zu setzen. Er hofft offensichtlich dadurch auf schnelleres Catering und eine Extraportion als Belohnung vom Bordpersonal.

Wider Erwarten hebt das Ding – Flugzeug wäre zuviel gesagt – ab, quert die Berge und landet augenblicklich wieder. Wir sind da: Frankfurt, Mainhatten, die Finanzmetropole…ist nicht zu sehen, dafür Kilometer von Asphalt und bunt bemalte Flieger. Wie im öffentlichen Nahverkehr in Österreich kommt der Passagierbus von der Maschine zum Terminal nur langsam voran, was uns schließlich zum schnellen Umsteigen nötigt. Ich fühle mich bereits als Vielflieger und spiele gedanklich mit den Möglichkeiten des Bonusmeilenprogramms.

Eiligen Schrittes besteigen wir ein Flugzeug, das den Namen verdient hat. H. flennt. Sein Zuckerspiegel ist schon in düstere Tiefen gefallen. Ich überlege einzustimmen, da die Uniformen der Flugbegleiterinnen erstaunlich viel Haut und auch Fleisch bedecken. Das Semmelchen mit Leberkäschen und das Riegelchen mit Bananchengeschmack trösten darüber nicht hinweg. Der Fingerhut Orangensaft entschädigt für überhaupt nichts, zumal kein Vodka zugefügt wurde. Schlechte Zeiten, Wirtschaftskrise überall.

Dennoch, niemand kann uns stoppen: Wir zocken. Zweiundzwanzigtausend Meilen über dem Meer lassen H. und ich das erste Mal die Doppeldeutschen aneinanderkrachen. Er bietet vierzig, wir landen in Edinburgh. Das Flugzeug muss geräumt werden. Schwein gehabt.


Der Airport in Edinburgh ist wie die Stadt – alt. Gebaut vor etlichen hundert Jahren sind der romanische Terminal und das Kopfsteinpflaster der Landebahn mit der Landschaft verwachsen. Unkrautjäten nützt nichts mehr, täglich brennen die Wartungstechniker den wuchernden Urwald auf der Rollpiste mit Napalm nieder. Der Himmel ist entsprechend – bedeckt.


Gemessene dreieinhalb Minuten nach der Ankunft beginnt H. erneut zu jausnen, ein Zustand, der die folgenden 14 Tage im gleichen Rhythmus andauern sollte. Es folgt die Fahrt vom Flughafen durch die Elendsviertel, vorbei an elitären Privatschulen und riesigen Parkanlagen. Das zeigt die Armut, in die das Land durch den EU-Beitritt geschlittert ist. H. moniert augenblicklich die Situation und beginnt, ein Lied gegen Europa zu singen: „Ene Mene EU und raus bist Du“. Begeistert klatschen die Menschen auf den Straßen und werfen Münzen gegen den Bus. Mit dem Nothammer schlage ich die Scheiben ein, so kommt das Geld bei den Richtigen – uns – an. Das Pfund ist ja noch kostbar, Geld, das wie eine Gewichtseinheit heißt, kann nur wertvoll sein.
Die Rezeption in unserer Unterkunft wird von einem Menschen betreut, der offensichtlich Vorlage für und/oder Statist in Trainspotting war. Aber sehr freundlich. Das Zimmer hingegen, so viel Worte für Farben existieren nicht, um es zu beschreiben. Friedensreich Hundertwasser hätte bei einem solchen Anblick wohl sofort das Zeitliche gesegnet. Grün mit violetten und gelben Einsprenklungen. Was gewollte Farbgebung und was ein Resultat der Nutzung ist bleibt das Geheimnis des Hauses. Ob dieser Zustände sind die Hochsicherheitsschlösser eher überflüssig. Sie können nur dazu gedacht sein, Menschen im Inneren zu halten.

Als wir in die Stadt gehen schüttet es. Regen besteht in Schottland nur aus Wasser, kommt aber neben oben ebenso von der Seite und nach kurzer Zeit auch von unten. Wir retten uns, halb springend, halb schwimmend, über die Straße in ein Lokal mit Essgelegenheit. Zum Einstand gleich Traditionelles: Pizza. H. und ich blicken uns erleichtert an, das Überleben scheint gesichert.


Die anschließende Tour durch das alte bis antike Städtchen dient ausschließlich der Zeitüberbrückung bis zum Sonnenuntergang, will H. doch unbedingt eine Geistertour durch den Untergrund Edinburghs machen. Meine Beteuerung, dass Gespenster vor uns sicher Angst hätten und Begegnungen der dritten Art daher unwahrscheinlich seien, die können ihn nicht davon abbringen. Er brauche den Kick, so H., er habe im Verlauf der Reise (wir halten bei Stunde fünf) schon sämtliche Furcht verloren und sie mit innerer Taubheit geschlagen. Ich willige ein, den Ausgang schon kennend. Das einzig Grauenhafte war schlussendlich der Preis. Zum Glück gibt es Bier.


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